Schleusen öffnen: Kapitel 16
»Könnte es nicht sein, dass diese Sache auch was Gutes hat?« Diese Sache war Victors Umschreibung für den Grund seiner regelmäßigen Therapiesitzungen bei Frau Dr. Theisson.
Er war einigermaßen aufgekratzt, denn aus seiner Sicht konnte dies heute die letzte Therapiestunde seines Lebens sein. Warum weiterhin hier herkommen, fragte er sich, wo er doch gar nicht krank war? Gleichsam fragte er sich aber auch, wie er das seinen Eltern und seiner Therapeutin beibringen sollte.
»Etwas Gutes? Inwiefern?« fragte Frau Theisson und lehnte sich aufmerksam vor.
»Es könnte doch sein, dass es eigentlich gar keinen Grund gibt, Angst davor zu haben.«
»Ja?«
»Ich meine, Sie haben doch selbst immer gesagt, dass es eigentlich was ganz Normales ist.«
»Da hast du recht. Aber was ist passiert, dass du jetzt keine Angst mehr hast?«
»Ich habe jemanden kennen gelernt, der hat mir gesagt, dass er es auch hat. Und er hat keine Angst davor.«
»Ja? Wer ist dieser Jemand?«
Victor dachte über diese Frage nach. Ralph hatte ihm gesagt, dass es für einen Weltenwanderer gesünder sei, wenn nicht zu viele Leute von seinen Fähigkeiten wussten. Und Victor hatte einmal etwas von ärztlicher Schweigepflicht gehört, aber er war sich nicht sicher, ob das auch gegenüber Kindern galt. Wer weiß, wem sie davon weitererzählen würde, wenn sie ihm gegenüber nicht an eben eine solche Schweigepflicht gebunden war.
»Das möchte ich nicht sagen. Aber er hat mir gesagt, dass es bestimmte Leute gibt, die verlassen manchmal ihren Körper, und deshalb können sie was anderes machen, und das ist was Gutes. Glaube ich.«
»Hm«, machte Frau Theisson. »Und was sind das für bestimmte Leute?«
»Leute, die was können, was andere nicht können.«
Nun musste Frau Theisson ihre Gedanken sortieren. »Victor, das verstehe ich noch nicht so ganz. Was willst du mir eigentlich sagen?«
Nun fasste er sich ein Herz. »Ich brauche keine Therapie mehr. Ich war nie krank.«
Frau Theisson zog die Augenbrauen hoch. »Du bist zu mir gekommen, weil du schlimme Angst hattest, wenn du deinen Körper nicht mehr spüren konntest. Nun hat dir jemand gesagt, dass es eine Gruppe von Leuten gibt, die das auch kennen und damit etwas anderes machen können, von dem du denkst, dass es etwas Gutes ist«, fasste sie seine Äußerungen zusammen.
Victor nickte.
»Du wirst mir darüber schon ein bisschen mehr erzählen müssen.«
»Muss ich wirklich?« fragte er verzagt.
»Ich freue mich, wenn du jetzt keine Angst mehr hast. Aber ich hätte gerne eine Erklärung dafür.«
»Reicht das nicht?« fragte er hoffnungsvoll.
»Ich fürchte nein. Ich muss deinen Eltern sagen können, warum du nicht mehr zu mir zu kommen brauchst. Dafür muss ich es verstehen können.«
So viel zum Thema Schweigepflicht. Seine Adoptiveltern wollte er zum gegebenen Zeitpunkt wirklich nichts von seiner Weltenwanderschaft wissen lassen.
»Meine Eltern…« setzte er vorsichtig an.
»Was ist mit deinen Eltern?«
»Sie sind doch gar nicht meine echten Eltern. Vielleicht habe ich es von meiner echten Mutter geerbt.«
»Aha«, sagte Frau Theisson. »Und wie kommst du darauf?«
»Es könnte doch sein, dass es für was wirklich Gutes da ist. Dass ich das von meiner Mutter geerbt habe.«
»Das ist eine schöne Vorstellung.« Frau Theisson lächelte ihn an. Und sah dabei mehr denn je wie eine Frau Doktor aus.
»Aber vielleicht ist es nicht nur eine Vorstellung. Vielleicht ist es echt.«
»Und was genau ist das?«
Victor stockte wieder. »Das darf ich nicht sagen.«
»Hat das der Jemand gesagt?«
»Nein.« Victor schüttelte den Kopf.
»Wer dann?«
Victor schwieg.
Nun war Frau Theisson sehr besorgt. »Victor, wer hat dir gesagt, dass es nicht nur eine wunderschöne Phantasie ist?«
Hätte er doch nur nie damit angefangen! »Niemand«, sagte er schließlich.
»Niemand?« wiederholte Frau Theisson.
Victor nickte. »Ich hab nur so gedacht, es könnte doch sein.«
Frau Theisson schlug jetzt einen sehr warmherzigen Ton an. »Ist es das, was du dir wünschst? Dass deine leibliche Mutter dir eine besondere Fähigkeit vererbt hat?«
Victor schwieg.
»Würdest du gerne einer Gruppe von Leuten angehören, die etwas können, das andere nicht können?«
Wieder sagte Victor nichts.
»Was wäre das denn, was du gerne können würdest?«
Irgendwie war dieses Gespräch gänzlich in die Hose gegangen. »Können wir aufhören, davon zu reden?« fragte er.
Frau Theisson sah ihren Patienten besorgt an. Dann nickte sie. »Ja, wir können aufhören. Aber wir werden uns diesem Thema noch einmal widmen müssen.«
Victor nickte traurig. Er hatte keine Ahnung, wie er aus der Nummer wieder rauskommen sollte.
Autorin: Britta Kretschmer, www.mehr-welten.de
Probleme über Probleme, und schon wieder finito. Dabei wollten wir doch eigentlich gerade in den hauseigenen Safe einbrechen…
150 Stimmen sind diesmal nötig, damit mehr Kapitel freigeschaltet werden können.
Weiterempfehlen kann da nicht schaden :-)
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